[idw] Neue Ausgabe des DISKURS: Homo politicus novus Datum: 17.08.01 17:22:25 (MEZ) - Mitteleurop. Sommerzeit Diskurs 1/2001 Ursula Hoffmann-Lange: Politikverdrossenheit oder Politikdistanz? Zum Wandel der politischen Orientierungen junger Menschen Mit dem gesellschaftlichen und politischen Engagement der nachwachsenden Generation ist kein Staat zu machen - so eine in der öffentlichen Begutachtung der Nachgeborenen immer wieder angestimmte Klage. Genauere Analysen machen demgegenüber deutlich, daß von einer generellen »Politikverdrossenheit« nicht die Rede sein kann. Gewandelte Formen gesellschaftlicher Partizipation von Jugendlichen legen es vielmehr nahe, die Mitgliedschaft in Parteien, Gewerkschaften und Jugendverbänden nicht als alleiniges Gütesiegel für ein gelungenes gesellschaftlich-politisches Engagement anzuerkennen. Wolfgang Gaiser / Martina Gille / Winfried Krüger / Johann de Rijke: Zufrieden - kritisch - distanziert: Einstellungen junger Deutscher in West und Ost zur Demokratie Wie ist es um die Akzeptanz des demokratischen Systems und seiner Spielregeln in der Jugend im vereinten Deutschland bestellt? Eine DJI-Untersuchung zeigt, wie unterschiedliche Lebenslagen und die daraus jeweils gezogenen Schlüsse die Urteile der einzelnen bestimmen. Ob und wie gut sich die Demokratie im ersten Jahrzehnt des Zusammenwachsens bewährt hat, findet aus der Sicht der Heranwachsenden denn auch recht unterschiedliche Antworten: »Zufriedene Demokraten« einerseits, »Kritische Demokraten« und »Distanzierte« andererseits - mit den für West und Ost spezifischen Ausprägungen. Günter C. Behrmann: Quo vadis, Politische Bildung? Zeit- und ideengeschichtliche Grundlagen ihrer Konzeptionen und Institutionen Das Ende des Ost-West-Gegensatzes mit seinen ideen-, ordnungs- und machtpolitischen Konfliktlinien hat neben den Koordinaten nationaler und internationaler Politik auch die Rahmenbedingungen der Politischen Bildung in Deutschland wesentlich verändert. Der Beitrag beleuchtet die Umstrukturierungen und programmatischen Erklärungen, mit denen versucht wurde, der neuen Lage und den neuen Anforderungen an die Politische Bildung hinsichtlich ihrer Träger und im Rückblick auf deren Geschichte gerecht zu werden. spektrum Renate Matsche: Die Bedeutung von Eltern und Peers für Selbst-Bildungsprozesse von Kindern Vor dem Hintergrund einer sich immer komplexer darstellenden Welt und einer individualisierten Kindheit werden Prozesse der »Selbst-Bildung« von Kindern immer wichtiger. Dabei gehen von Gleichaltrigen wie von Eltern bzw. erwachsenen Bezugspersonen gleichermaßen Entwicklungsimpulse aus. Die Autorin erörtert anhand neuerer empirischer Untersuchungen, welche Kompetenzen Kinder in und zwischen diesen Bezugssystemen entwickeln. Michael Meuser: »Das heißt noch lange nicht, daß sie die Peitsche in der Hand hat« - Die Transformation der Geschlechterordnung und die widersprüchliche Modernisierung von Männlichkeit Daß der Wandel der Geschlechterordnung mitunter eine Erweiterung von Handlungsspielräumen mit sich bringt, hat nicht schon zwingend die Auflösung tradierter Hierarchien und Disparitäten zur Folge. Dies wird mit Blick auf die Männer deutlich, wenn Schritte der Veränderung auf neuen Sohlen alter Muster der Geschlechterhierarchie daherkommen. Der Autor legt Widersprüche in der Modernisierung von Männlichkeit offen und illustriert anhand von Fallbeispielen, wie sehr die Akzeptanz , als echter Mann durchzugehen, nach wie vor an das Vokabular hegemonialer Männlichkeit gebunden bleibt. Ute Schad: Jugend und Rechtsextremismus - Die gesellschaftspolitische Dimension von Fremdenfeindlichkeit Die Tatsache, daß Angriffe auf Ausländer und fremd aussehende Menschen vorwiegend von jungen Männern verübt werden, läßt leicht die gesellschaftspolitische Dimension dieser Gewalttaten übersehen. Der Beitrag wendet sich gegen eine Verharmlosung von rechtextremistischen und fremdenfeindlichen Formen der Gewalt als »Jugendphänomen« und beleuchtet die Defizite einer soziologisch-pädagogischen Betrachtungsweise, die als Desintegrationsansatz bekannt geworden ist. trends Andreas Schmitz / Wolfgang Schlicht: Gestaltung des städtischen Wohnumfeldes - ein Thema für die Pädagogik? Die schon etwas in die Jahre gekommene Klage, die Pädagogik werde nur zu oft als soziale Feuerwehr benutzt, hat trotz der seit längerem entwickelten und erprobten niedrigschwelligen Angebote wie der Straßensozialarbeit nichts an Aktualität eingebüßt. Die Autoren machen deutlich, wie wenig rein verhaltensorientierte Interventionen die Entstehung und Eskalation abweichendes Verhalten von Kindern und Jugendlichen verhindern können. Zur Prävention von Delikten wie generell zur Verbesserung urbanen Zusammenleben plädieren sie für einen stärkere Berücksichtigung des räumlich-materiellen Wohnumfeldes bei der Wahrnehmung pädagogischer Aufgaben Hans Lösch: Zu diesem Heft Menschen in Deutschland leben in einer Demokratie - zumindest wieder seit 1949. In einem Teil Deutschlands ließ diese allerdings noch 40 Jahre auf sich warten. Bürgerinnen und Bürger dieses anderen Deutschland mußten sich mit einer »DDR«, einer »sogenannten«, nur so genannten DDR - i.e. einer Demokratie ohne Gütesiegel zufriedenzugeben. Seit der deutsch-deutschen Vereinigung haben solche frontstaatlich interessierten Unterscheidungen von »geachteter« und »geächteter« Demokratie ihre Grundlage verloren; seither tritt die Demokratie nicht mehr mit und ohne Anführungszeichen, sondern nurmehr gesamtdeutsch ohne auf: Die Demokratie ist in Deutschland »verbindlich« geworden. An politischen wie wissenschaftlichen Überprüfungen, ob und wie weit die Demokratie angekommen ist, hat es in (West)Deutschland nie gefehlt. So durchziehen die Umfrageforschung - beginnend mit den Untersuchungen des Allensbacher Instituts für Demoskopie in den 50er Jahren über die Shell-Jugendstudien bis hin zu den DJI-Jugendsurveys in der Gegenwart - immer wieder Fragen nach der Akzeptanz der Demokratie, des Staates und seiner Einrichtungen. Dieses fortwährende öffentliche Interesse an den Konjunkturen politisch-gesellschaftlicher Partizipation und Botmäßigkeit der Jugend deutet darauf hin, daß die Integration der Nachgeborenen in das politische System bis heute nicht als selbstverständlich gilt. Befürchtungen, die politische Eingemeindung könne auch mißlingen, kamen und kommen immer dann auf, wenn Jugendliche über Krawalle und Proteste auf sich bzw. ihre Anliegen aufmerksam machen. Diese Störungen der Ordnung wurden häufig - wie etwa die »Halbstarkenkrawalle« in den späten 50er Jahren - nicht als genuin politisch, sondern als »Ausbruchsversuche aus der in die Watte manipulierter Humanität, überzeugender Sicherheit und allgemeiner Wohlfahrt gewickelten modernen Welt« (Helmut Schelsky) eingestuft. Dies änderte sich, als in in den 60er Jahren eine politische Protestbewegung entstand, die sich für eine bessere Demokratie engagierte und ihre Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen zunehmend im Namen des Allgemeinwohls artikulierte. In den Medien wie in den Analysen und Stellungnahmen der Fachöffentlichkeit zu den jeweiligen Protest- und Neuen Sozialen Bewegungen ist immer wieder auf die tiefe Kluft zwischen der politischen Führung und der jungen Generation hingewiesen worden. Daneben wird aber immer auch das kritische Potential der Jugendlichen - wenn es sich denn im gesetzlichen Rahmen hält - als »Beitrag zur Belebung der Demokratie« gewürdigt. Wenngleich der »unruhigen« Jugend stets die größte öffentliche Aufmerksamkeit zuteil wird, ist stets auch die »ruhige«, bzw. die »zu ruhige« Jugend politisch-öffentlich begutachtet wie wissenschaftlich vermessen worden. Gegenwärtig scheint vor allem »Politikverdrossenheit« das Bild der Jugend in den Medien zu prägen. Daneben lassen sich aber auch offen nationalistische Gesinnungen und Bekenntnisse ausmachen. Diese finden zwar in Gesamtdeutschland Gefolgschaft, aber - gemessen an der Häufigkeit von Übergängen in rechtsextremistische Gewalt - überproportional bei jungen Männern im dazugekommenen post-sozialistischen Teil. Ein Beleg, daß mit der Vereinigung nicht unbedingt auch schon die Demokratie angekommen ist? THEMA stellt drei Beiträge vor, die den »Homo politicus« und die Frage, was an ihm neu oder alt ist, in unterschiedlicher Weise konturieren. Ursula Hoffmann-Lange widerspricht der gängigen Vorstellung, wonach politische Einstellungen und gesellschaftlich-politisches Engagement nur dann das Prädikat »demokratieverträglich« verdienen, wenn sie in den Bahnen tradierter politischer Meinungsbildung und Partizipation verbleiben. Wolfgang Gaiser, Martina Gille, Winfried Krüger und Johann de Rijke illustrieren anhand empirischer Befunde, wie Demokratie nach einem Jahrzehnt deutsch-deutscher Vereinigung von Heranwachsenden buchstabiert wird. Günter C. Behrmann befaßt sich in seinem Beitrag mit den durch das Ende des Ost-West-Gegensatzes gewandelten politischen Rahmenbedingungen und analysiert vor diesem Hintergrund Ansätze einer konzeptionellen wie instituionellen Neuorientierung der Politischen Bildung. Im SPEKTRUM beleuchtet Renate Matsche Prozesse der Selbst-Bildung von Kindern. Im Zentrum steht hier die Frage nach den Entwicklungsimpulsen, die von Eltern und Gleichaltrigen für eine aktive Aneignung und Umgestaltung der sozialen und kulturellen Lebenswelt durch Kinder ausgehen. Michael Meuser legt in seiner Abhandlung dar, wie wenig bislang die Transformation der Geschlechterordnung das Versprechen, Muster hegemonialer Männlichkeit aufzubrechen, einzulösen vermag. Ute Schad thematisiert die gesellschaftspolitische Dimension von Fremdenfeindlichkeit und argumentiert gegen eine Verharmlosung von rechtsextremistischen Einstellungen und Verhaltensweisen als »Jugendphänomen«. Der Beitrag der Autorin eröffnet eine Debatte über »Fremdenfeindlichkeit und Gewalt«, die den inhaltlichen Schwerpunkt der Verhandlungen im nächsten DISKURS-Heft bilden wird. Unter Trends wird diesmal das städtische Wohnumfeld als unterbelichtetes Thema der Pädagogik in Augenschein genommen. Andreas Schmitz und Wolfgang Schlicht zeigen auf, welche Bedeutung der Gestaltung des räumlich-materiellen Wohnumfeldes für urbanes Zusammenleben im allgemeinen, wie für die Prävention abweichenden Verhaltens von Kindern und Jugendlichen im besonderen zukommt. Studien zu Kindheit, Jugend, Familie und Gesellschaft München: DJI Verlag, ISSN 0937-9614 drei Hefte jährlich Jahresabo: DM 57,- (zuzügl. Versandkosten) Einzelhefte DISKURS: DM 24,-- Alleinvertrieb: Verlag Leske + Budrich: Postfach 300551, 51334 Leverkusen, Tel: 02171/4907-0, Fax: 02171/4907-11; E-Mail:Lesbudpubl@aol.com, Website:www.leske-budrich.de